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Unwetter und Murenabgänge Juni 2015

Es gibt Wetterereignisse über die man eigentlich gar nicht schreiben möchte, da viel Leid und Schaden damit verbunden sind. Doch erst mit der Auseinandersetzung und der Dokumentation schafft man ein Archiv, in dem man immer wieder nachsehen kann - auch um als Meteorologe bei künftigen Ereignissen wichtige Schlüsse zu ziehen.
Die heftigen Gewitter am 6. und 7. Juni in Tirol haben zu Vermurungen und Überschwemmungen im Sellrain- und im Paznauntal geführt. Viele Familien mussten in der Nacht auf den 8. Juni ihre Häuser verlassen, Schulen und Kindergarten blieben geschlossen und Straßen gesperrt. Das Sellraintal war (fast) von der Außenwelt abgeschnitten und nur durch das Kühtai und dem Ötztal erreichbar. Inzwischen wird der Schaden mit 30 Millionen Euro beziffert, eine Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität unterstützt die betroffene Bevölkerung bei der Bewältigung dieser Katastrophe. Die Feuerwehren vieler umliegenden Orte, das Bundesheer, zahlreiche Polizisten (die egtl. für das Bilderberg-Treffen in Telfs vorgesehen sind), Freiwillige aber auch asylsuchende Flüchtlinge (!) helfen mit.
Die Fotos von zeitungsfoto.at helfen bei der Dokumentation dieses Ereignisses, am Ende folgen auch meteorologische Sichtweisen.


Die ersten Fotos vom Montagmorgen (8.6.) aus Sellrain (Quelle: zeitungsfoto.at).

Die Melach, die in Kematen das Oberland vom Unterland trennt, ist ein reißender Fluß geworden (Quelle: zeitungsfoto.at).
Das betroffene Gebiet: das untere Sellraintal. Ein Seitental südwestlich von Innsbruck (Quelle: google.maps Juni 2015).
Der Blick vom Gegenhang nach Süden zeigt den über die Ufer getretenen Fluß und die Murenangänge an den sehr steilen Hängen in Richtung Fotschertal (Quelle: zeitungsfoto.at).

Das Sellraintal ist an dieser Stelle sehr eng, die Hänge steil. Immer wieder kommt es in diesem Tal zu Murenabgängen und Überflutungen - meist nach tagelangem Regen und Gewittern (Quelle: zeitungsfoto.at).

Imposant und gleichzeitig sehr heftig ist diese Luftbildaufnahme von Montagvormittag (8.6.). Aus dieser Perspektive (Blick nach Norden ins Inntal) sieht man wieivel Geröll und Schutt ins Tal befördert wurden, Links hinauf schlängelt sich die Bergstraße L233 nach St. Quirin und Oberperfuß. Seit dem 19. Mai schon ist sie die Ausweichstrecke, da die L13 nach Kematen gesperrt war und ist (Quelle: zeitungsfoto.at)
Es sind Bilder, die man leider aus den Sommermonaten kennt und nicht gerne sieht. Man erkennt schon von hier, dass z.B. die Bundesstraße L13 von den Wassermassen überschwemmt ist (Quelle: zeitungsfoto.at).


Bilder von den Folgetagen zeigen das Ausmaß der Zerstörung. Selbst am Montag regnete es noch weiter, am Dienstag nur mehr wenig und am Mittwoch (10.6.) war es dann trocken (Quelle: zeitungsfoto.at).
Die Kraft des Wassers kann man gar nicht unterschätzen - denkt man zumindest immer wieder (Quelle: zeitungsfoto.at)
Ohne Worte



Der meteorologische Teil
Nein, eine Katastophe in diesem Ausmaß war nicht vorhersehbar. Die Vorgeschichte (letztes Maidrittel) war in weiten Teilen Tirols eine sehr nasse, verbreitet ist das Doppelte der durchschnittlichen Regenmenge vom Himmel gekommen. Das Stationsnetz ist recht dünn und somit liegen keine detaillierten Daten vor, aber allein die Tatsache, dass die Straße von Sellrain nach Kematen am 19. Mai aufgrund eines Murenabgangs gesperrt werden musste, sagt einiges aus.

Nach dem nassen Mai folgte ein sehr heißer Start in den Juni mit fast 5 Tropentagen in Folge und einem Ansteigen der Nullgradgrenze auf über 3500 m. Somit waren die Bäche und Flüsse randvoll mit Schmelzwasser (Starkregenereignis am 20. Mai mit Schneefallgrenze 800 bis 1000 m) und die Böden trotz ein paar Tagen Trockenheit gut durchfeuchtet.

Die ersten heftigen Gewitter gab es am späten Nachmittag / frühen Abend des 6. Juni (Samstag), eine Gewitterzelle liegt fast 2 Stunden lang im Bereich des Sellraintals und regnet sich ordentlich ab (siehe Radarbilder, Quelle: UBIMET / Austrocontrol):




Auch im Raum Innsbruck kam es durch die stationäre Lage einer Gewitterzelle zu lang andauerndem Starkregen und auch Sturmböen (Innsbruck-Flughafen 90 km/h).  Am Tag danach sahen die Wiesen zwischen Innsbruck und Telfs so aus:

Abgebrochene Äste in Innsbruck (Foto: alpen.wetter).
Hoher Wasserstand am Inn - zwischen HQ1 und HQ 5 (Foto: alpen.wetter).

Auf vielen Feldern im Oberland steht das Wasser, wie hier in Unterperfuss (Foto: alpen.wetter).
Fast wie chinesische Anbauflächen sehen die heimischen Gemüsefelder aus (Foto: alpen.wetter)
Am Abend und in der Nacht vom 7. Juni (Sonntag) auf den 8. Juni (Montag) folgen dann weitere heftige Gewitter. Aufgrund der schwachen Höhenströmung bleiben sie erneut quasi ortsfest und somit regnet es stundenlang durch (siehe Radarbilder der Austrocontrol, visualisiert von UBIMET). Erneut trifft es genau das Sellraintal und das Inntal zwischen Zirl und Telfs aber auch das Paznauntal südwestlich von Landeck.




Eine sehr unterschiedliche Niederschlagsverteilung dieser beiden Tage ist an den Tiroler Stationen zu sehen, innerhalb weniger Kilometer sind zwischen 2 (Umhausen) und über 60 (Seefeld) Liter pro Quadratmeter gefallen. Die Gewitter waren aber gerade zwischen Inzing und dem Sellraintal am stärksten, sie fallen hier durch den Rost.

48-stündige-Niederschlagsmengen Samstagmorgen bis Montagmorgen (Quelle: UBIMET, ZAMG)

Eine Analyse der Niederschlagsmengen aus den Radarbildern von Sonntagabend bis Montagmorgen aus dem ZAMG-internen INCA zeigt die exobirtanten Mengen von 130 bis 150 (!) Liter pro Quadratmeter, die im Sellraintal gefallen sind. Eine Zunge mit etwa 60 Liter pro Quadratmeter reicht ins Stubai und eine weitere nach Norden ins Inntal. Angrenzende Täler wie das Ötztal oder das vom Stubai abzweigende Oberbergtal hat es kaum getroffen (Quelle: ZAMG, facebook).


Die Wetterstation des hydrografischen Dienstes Tirol in Inzing hat rund 80 Liter pro Quadratmeter in zwei Tagen registriert. Die Station im Sellraintal lieferte keine Niederschlagswerte (Quelle: Hydro Tirol)

Auch im Unterland wie in Alpbach kam es in Zuge von Gewittern zu Starkregen, wie hier in Alpbach (Quelle: Hydro Tirol)
Im Paznauntal kann man von mindestens 70 Litern pro Quadratmeter ausgehen, in See waren es mit Sicherheit mehr als hier in Kappl (Quelle: Hydro Tirol).


Der Verlauf des (automatischen) Pegels im Sellraintal zeigt einen unglaublichen Anstieg in der Nacht auf den 8. Juni (Montag) auf über HQ100. Nachträglich wurde dieser Werte noch korrigiert (Quelle: Hydro Tirol)

Wetterkarten

Vom Samstag und Sonntag werden noch Wetterkarten nachgeliefert. Hier werden zwar nur Analysekarten von Montag 12z gezeigt, ansatzweise beschreiben sie aber noch die Wetterlage (Quelle: ECMWF, UBIMET).

VERA- Analyse

Die Feuchtflussdivergenzkarten der VERA zeigen ganz klar das Zusammenströmen der feuchten Luft südlich von Innsbruck am Samstagabend (20:00 MESZ) und das Einströmen in die Gewitterzelle am späten Sonntagabend (22:00 MESZ).


Zusammenfassung - wie kam es zu dem heftigen Ereignis?

  • Nasse Vorgeschichte im letzten Maidrittel.
  • Schneeschmelze durch Hitzewelle in der ersten Juniwoche.
  • Gradientschwache Wetterlage mit geringer Höhenströmung.
  • Feuchtwarme Luft und labil geschichtete Luft.
  • Stationäre Gewitter mit starkem Regen binnen kurzer Zeit an zwei Tagen.
  • Starke Verdunstung am Sonntag, 7. Juni und somit wieder Quellwolkenbildung und ortsfeste Gewitter.

Zu guter Letzt


Editiert am 11.6.2015 21:26

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